Staatseingriffe verhindern Insolvenzwelle

Das massive Eingreifen der Regierungen hat eine Insolvenzwelle in Europa durch die Corona-Krise verhindert. In Westeuropa war die Zahl der Unternehmensinsolvenzen im Jahr 2020 so gering wie seit drei Jahrzehnten nicht mehr. Insgesamt wurden rund 120.000 Unternehmensinsolvenzen registriert. Das war ein deutlicher Rückgang um mehr als ein Viertel (minus 26,9 Prozent) gegenüber dem Vorjahr (2019: 163.000).

Erster Gesprächspartner war Brexit-Experte Karl Martin Fischer von der German Trade and Invest GmbH (GTAI). Das Vereinigte Königreich biete deutschen Unternehmen auch nach dem Brexit große Chancen, so Fischer, „denn die Briten und besonders die britische Industrie legen nach wie vor großen Wert auf deutsche Wertarbeit.“ Potenziale böten darüber hinaus das Gesundheitssystem, in das die Regierung viel investiere, und die Energiewende. „Großbritannien ist ein sehr windreiches Land und beim Thema Windkraft kann die deutsche Industrie, die international führend ist, sehr hilfreich sein“, stellte Karl Martin Fischer fest. Aber: Dass der Brexit den Handel indes grenzüberschreitend komplizierter, teurer und langwieriger gemacht habe, ließe sich nicht abstreiten.

„Kein Freihändler“

Nächster Stopp: USA. Hier sprach Gregor Wolf, Mitglied d

„Zur Bekämpfung der wirtschaftlichen Folgen der Pandemie haben die meisten Staaten seit dem Frühjahr 2020 umfangreiche Maßnahmen zur Stützung der Wirtschaft auf den Weg gebracht“, sagt Patrik-Ludwig Hantzsch, Leiter der Creditreform Wirtschaftsforschung in Neuss. „Vor allem die finanziellen Hilfen und auch Änderungen am jeweiligen Insolvenzrecht hätten in Summe zu dem paradoxen Rückgang der registrierten Insolvenzfälle geführt.“

Nahezu alle untersuchten Länder Westeuropas (EU-15 plus Norwegen und die Schweiz) verzeichneten rückläufige Fallzahlen. Einzige Ausnahme war Irland mit einem minimalen Anstieg. Am deutlichsten lag die Zahl der Insolvenzen in den Nachbarländern Österreich, Frankreich, Dänemark und Belgien unter dem Vorjahresstand. In den Staaten Mittel- und Osteuropas nahmen die Insolvenzzahlen im Corona-Jahr 2020 ebenfalls ab; um 8,8 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Rund 44.800 Unternehmensinsolvenzen wurden registriert (2019: 49.119 Fälle). In Mittel- und Osteuropa dominiert der Handel das Insolvenzgeschehen mit einem Anteil von 42,7 Prozent aller Insolvenzen. In der Türkei gab es einen Anstieg der Insolvenzzahlen (plus 13,5 Prozent auf rund 16.000 Fälle).

Verarbeitendes Gewerbe

In allen vier Hauptwirtschaftsbereichen nahm die Zahl der Insolvenzen in Westeuropa deutlich ab. Stark rückläufig war die Insolvenzentwicklung insbesondere im Baugewerbe (minus 31,7 Prozent) und im Handel (inkl. Gastgewerbe) mit minus 30,1 Prozent. Das Verarbeitende Gewerbe (minus 25,2 Prozent) und der Dienstleistungssektor (minus 22,5 Prozent) verzeichneten ebenfalls spürbare Rückgänge. Der Dienstleistungssektor dominiert sowohl zahlenmäßig (rund 50.000 Insolvenzfälle) als auch anteilmäßig (42,0 Prozent) das Insolvenzgeschehen in Westeuropa. Der Handel (inkl. Gastgewerbe) weist einen Anteil von 30,1 Prozent auf und das Baugewerbe ist am Insolvenzgeschehen mit 17,4 Prozent (20.700 Insolvenzfälle) beteiligt. Ein Zehntel aller Insolvenzen (10,5 Prozent) wurde im Verarbeitenden Gewerbe registriert.

Hohe Eigenkapitalquoten

„Die Unternehmen in Westeuropa sind mit starkem Puffer in die Corona-Krise gegangen“, berichtet Hantzsch. Die Auswertung der Bilanzkennzahlen von mehr als drei Millionen Unternehmen aus dem Vorkrisenjahr zeigt, dass die Gewinnmargen und Eigenkapitalquoten 2019 nochmals zugenommen haben. „Das hat die Stabilität erhöht“, sagt Hantzsch weiter. Ein großer Teil der Unternehmen (46,5 Prozent) verfügte demnach über eine hohe Eigenkapitalquote von über 50 Prozent. Das ist eine deutliche Verbesserung gegenüber dem Jahr 2012 (40,1 Prozent). 21,9 Prozent der betrachteten Unternehmen gelten als eigenkapitalschwach (weniger als 10 Prozent Eigenkapital).

Insolvenzwelle nur verschoben?

Gleichwohl verzeichnete mehr als jedes fünfte Unternehmen in Westeuropa (21,9 Prozent) mit seinem Geschäftsmodell keine Gewinne. „Nach dem Corona-Einbruch dürften insbesondere auch diese Unternehmen das Insolvenzpotenzial der kommenden Jahre bilden“, sagt Hantzsch. Im Zusammenhang mit dem Auslaufen der staatlichen Hilfsmaßnahmen dürfte dieser Umstand zu steigenden Insolvenzen führen.

er Hauptgeschäftsführung beim Bundesverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA) in Berlin zunächst über die wirtschaftlichen Nachwehen der Ära Trump und kommentierte im Anschluss die Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten unter Präsident Joe Biden: „Die aktuelle transatlantische Zusammenarbeit mit der Biden-Regierung ist gut. Der Ton hat sich geändert. Aber: Biden selbst ist kein Freihändler.“ Angesprochen auf die Rolle Deutschlands, das sowohl von den USA als auch von China wirtschaftlich abhängig ist, sagte Wolf, man müsse aufpassen, dass man sich nicht instrumentalisieren lasse, sondern sich stattdessen selbstbewusst positioniere. „Eine Loslösung, also zu sagen, wir konzentrieren uns alleine auf die USA oder auf China, wäre eine extrem teure Entscheidung und dementsprechend nicht im Sinne Deutschlands“, so Gregor Wolf.

Qualität statt Quantität

Live aus St. Petersburg berichtete Boris Wittkowski, Geschäftsführer des Informationszentrums der Deutschen Wirtschaft, über die Perspektiven deutscher Unternehmen in Russland. Auch in Russland habe das Qualitätssiegel „Made in Germany“ einen hohen Stellenwert – man beobachte jedoch einen rückläufigen Trend bei den Engagements deutscher Unternehmen in Russland. „Allerdings wird diese zurückgehende Quantität durch eine steigende Qualität kompensiert“, erklärte der Russland-Experte. Als größter ausländischer Wirtschaftsverband habe die AHK aktuell rund 1.000 Mitglieder. Und wie hat Corona die Zusammenarbeit mit Russland beeinflusst? „Es gab im Tagesgeschäft Probleme bei der Einreise, große Rubelschwankungen und Absatz- und Nachfragerückgänge“, erklärte Boris Wittkowski.

Pragmatische Krisenbewältigung

Live aus China zugeschaltet wurde Peter Tichauer, Leiter Presse & PR beim deutsch-chinesischen Ökopark Qingdao und Chefredakteur des Wirtschaftsmagazins „China insight“. Die Frage, wohin China steuere, werde beim Blick auf den 14. Fünfjahresplan deutlich. „China will innovativer werden, die Technologie stärken, die Industrie modernisieren – aber sich auch im Bereich Nachhaltigkeit und Erneuerbare Energien weiterentwickeln“, berichtete der China-Experte. Dies seien Bereiche, in denen er auch für deutsche Unternehmen gute Möglichkeiten sehe, um sich zu beteiligen. China als Wettbewerber auszuschalten, werde nicht gelingen, „denn wenn das Land von Chip-Lieferungen abgeschnitten wird, entwickelt es eben eigene Chips.“ Letzte Frage: „Was kann Europa von China lernen?“ Hier lobte Peter Tichauer die Krisenbewältigungsstrategie der Chinesen: „Mit Blick auf den Umgang mit der Pandemie wird deutlich, dass in Deutschland nur zögerlich entschieden wird. Ständig müssen neue Verordnungen verabschiedet werden. Wenn China etwas erkennt, das notwendig ist, wird das pragmatisch und mit Disziplin und Konsequenz auch durchgesetzt.“

Schnelles Impfen

Einen Blick auf die Risikoweltkarte warf Coface-Volkswirtin Christiane von Berg. Sie stellte die neuesten Länder- und Branchenrisikobewertungen vor, die Coface vierteljährlich aktualisiert. Bei den Länderrisiken gibt es insgesamt fünf Nationen, deren Bewertung verbessert wurde. Diese Aufwertungen seien hauptsächlich auf erfolgreiche Impfkampagnen zurückzuführen, so von Berg. Den Großmächten China und USA bescheinigte die Volkswirtin große Fortschritte auf dem Weg zurück zu vorkrisenähnlicher Wirtschaftsstärke, während die Erholung in Deutschland aktuell noch etwas hinterherhinke. Aber es gebe auch positive Signale: „Gerade im Verarbeitenden Gewerbe ist die Auftragslage gut – weil es für unsere großen Exportpartner wie China oder die Vereinigten Staaten aufwärtsgeht.“

Mehr Bedarf an Kartonagen

Auch die aktuellen Branchenrisikoeinschätzungen stellte Christiane von Berg vor. In Deutschland wurden die Bewertungen für die Pharma-, die Papier- und die Metall-Branche angehoben. Der Ausblick für die Pharmaindustrie habe sich aufgehellt, weil im aktuellen Lockdown Arztbesuche seltener aufgeschoben werden, „dadurch hat sich die Medikamentennachfrage normalisiert.“ Dass der Papiersektor im Aufschwung sei, „sehe ich Tag für Tag beim Blick in meine Papiertonne“, bekannte die Volkswirtin. Die Branche profitiere von der Verpackungsindustrie und deren Nachfrage nach Kartonagen und nicht zuletzt von der Nachfrage nach medizinischen Produkten wie Masken. „Die Metall-Branche profitiert vor allem von der Belebung des Maschinenbaus und des globalen Automobilmarktes. Die Auftragseingänge sind stark, die Produktion wegen der Rohstoffknappheit derzeit noch nicht“, erklärte Christiane von Berg.

Insolvenzen

Mit Blick auf die Insolvenzzahlen stellte die Volkswirtin abschließend fest: „Es gab 2020 zwar nicht viele Insolvenzen, aber die, die es gab, hatten es in sich.“ Das Statistische Bundesamt rechne mit einem Schaden von 44,1 Milliarden Euro – der höchste Wert seit 2009 und ein Anstieg um 65 % zum Vorjahr. „Das ist eine ordentliche Hausnummer und zeigt: Wir sind noch lange nicht fertig mit dieser Krise.“